|
Foto: ©TAD
Zur Debatte über kommunale Kulturförderung und Kreativquartiererscheinungen im Postkulturhauptstadtjahr 2011, sowie über die widersprüchliche Förderung von Kultur als Städtetourismusmotor während des Kulturhaupstadtjahres 2010 bei gleichzeitiger Herabsetzung öffentlicher kommunaler Förderung von Kultur, möchten wir hier im 'Spot-on/-off' -Verfahren einige Highlights eines Streitgesprächs veröffentlichen, dass am 25.02.11 auf der Szenario-Seite der Duisburger WAZ in einer leider nur stark gekürzten Fasssung erscheinen konnte. Niklaus von Steffenhagen jr., Großkünstler und bekennendes Großgenie (Planet Earth Foundation Artist in Residence 2011/2012) und Olaf Reifegerste, Koordinator der Duisburger Akzente für das Duisburger Kulturdezernat, kommen zu Wort und phasenweise sogar ins Gespräch. Das Gespräch wurde geleitet von Zlatan Alihodzic, WAZ, Duisburg. Viel Spaß und Erkenntnisgewinn beim Lesen des nun folgenden Gesprächs. Herzlichst TAD Standortpolitik vs. frei flottierende Standorte
Den Vorteil vom Standort befreien oder dem Standort die Nachteile austreiben? Über Sonderkulturzonen, Bioläden, Aquakulturen, das fugenlose Eisenbahnrad und die Wiedergeburt der Schwerindustrie aus dem Geiste des Entertainments. Spot on / 1 Zlatan Alihodzic (Z. A.): Braucht man ein Kreativquartier? Nikolaus von Steffenahgen jr. (NvS jr.): Der Gedanke des Kreativquartiers kreist um die Theorie des Standortvorteils. Das ist ein Denken, das dem 19. Jahrhundert entspricht. Wir leben heute in Zeiten von Flexibilität und haben technologisch ganz andere Möglichkeiten. Wir müssen uns orientieren am Gründergeist unserer Vorväter im Ruhrgebiet. Und, wie sie wissen, das Ruhrgebiet war nie eine Kulturmetropole, sondern ein Standort der Schwerindustrie. Früher sind die Leute aus ganz Europa ins Ruhrgebiet gekommen, jetzt kommen sie nicht mehr. Heute haben wir aber die Möglichkeit, zu ihnen zu kommen. Ich habe das im letzten Jahr demonstriert, indem ich Ruhrort abgesprengt habe, zeitweilig, um dann bis Amsterdam und schließlich bis zum Wendekreis des Steinbocks mit Ruhrort als „Ruhrort II“ zu segeln. Dasselbe ist möglich mit ganz Duisburg. So könnten wir an die Stätten des kulturellen Geschehens segeln und dort präsent sein. Wir hätten einen großen Vorteil gegenüber den anderen Städten, die noch an ihren physikalischen Ort gebunden sind. Spot off / 1 Spot on / 2 NvS jr.: Sehen Sie, vor 150 Jahren standen die Vorväter im Ruhrgebiet vor einer ähnlichen Aufgabe. Wie hat man die Menschen hier halten können? Durch Siedlungsbau. Und was war das Ziel? Nicht eine kleinteilige Atmosphäre wie sie in Großstadtquartieren herrscht. Das hat es hier noch nie gegeben, sondern die Großindustrie, Schwerindustrie war das Ziel. Die Menschen wurden gehalten und es wurde im großen Stil produziert. Die kleinteilige Atmosphäre eines pulsierenden Kreativquartieres wird auch in Zukunft nicht die Stärke des Ruhrgebiets sein. Ich habe jetzt, weil mein visionäres Denken in dieser Hinsicht von Förderern belohnt wurde, das Amt ‚Großadministrator der Rheinisch-Westfälischen Schwerkulturindustrie’ geschaffen und bekleide es auch. Wir brauchen hier eine Renaissance der Schwerindustrie unter dem Vorzeichen der Kultur. Stichwort: Hollywood. Traumfabriken! Die wollen wir in einer Art Verbundwirtschaft anlegen, die Menschen hier binden, zwangsverpflichten durch Gemeinwohlarbeit. Hier sind alle Möglichkeiten gegeben und wir werden mit Duisburg sowohl mobil in ganz Deutschland andocken und auch dort Menschen zwangsverpflichten für unsere Ideen. Z. A.: Herr Reifegerste, auch Sie wollen Menschen nach Ruhrort und Duisburg locken, das ist nichts anderes als eine Zwangsverpflichtung. Und diese Traumfabriken, die werden in kleinem Rahmen doch schon geschaffen, weil sich Agenturen und Kreative dort ansiedeln. Olaf Reifegerste (O. R.): Wir glauben allerdings, dass es bei der Kleinteiligkeit bleiben soll. Denn die Großteiligkeit kann sich in New York, Tokio oder Dubai ganz anders präsentieren. Aber sie führt zum Ruin einer Gesellschaft. Ich bin aber ein Freund der Rheinisch-Westfälischen Schwerindustrie in Sachen Kunst und Kultur. Wir haben das ja schon. Der Bereich der Kreativ- und Kulturwirtschaft macht nach der Automobilwirtschaft den zweitwichtigsten wirtschaftlichen Faktor einer Industriekultur aus. Von daher haben wir schon diese Schwere. Und bei Kultur muss man sich immer fragen: Kunst statt Kohle? Oder Kunst gegen Kohle? So war es ja, als die Ruhrfestspiele gegründet wurden. Ich meine, es sollte Kunst und Kohle heißen. Ohne Kohle, ohne Moos nichts los. Kunst und Kultur müssen gefördert werden. Der Staat, und das ist das Problem in der Philosophie von Herrn von Steffenhagen, wenn er von einer globalisierten Form der Örtlichkeiten von Kreativquartieren ausgeht, wer ist denn da eigentlich für die dringend benötigten Fördermaßnahmen zuständig. Denn bekanntlich rechnet sich Kunst nicht, zahlt sich aber aus. Von daher meine Rückfrage: Wie soll dieses globale System eine solche Aufgabe übernehmen? Spot off / 2 Spot on / 3 NvS jr.: Duisburg ist in jedem Fall in einer Situation, die es erlaubt, Experimente durchzuführen. Eine Stadt, die quasi ohne kulturelle Szene auskommt, ist der ideale Nährboden für eine sozusagen kreative Aquakultur. Allerdings eben nicht auf einer kleinteiligen Ebene, wie Sie, Herr Reifegerste, es seit Jahren erfolglos versuchen. Sondern im großen Stil. Ich selber als Beuys-Schüler vertrete die Idee, dass jeder Mensch Künstler ist. Heute aber arbeiten die Künstler nicht mehr für sich in ihren Hinterhofstätten wie die Handwerker, sondern sie gehen in Bürotürme und schaffen alle an einem gemeinsamen Bruttosozialkreativprodukt. Und das ist die Vision. Wir können das hier schaffen, weil der reguläre Arbeitsmarkt so gut wie ausgestorben ist. Ihre Idee des Kreativquartiers ist prinzipiell gut, ist allerdings verhaftet im 19. Jahrhundert. Im 21. Jahrhundert müssen wir im großen Stil künstliche Projekte andocken an die fruchtbaren Auenlandschaften des Rheinufers. Hier können sie gedeihen, der rechte Geist ist vorhanden. O. R.: Ein Vorwurf: Je stärker ich mich einer solchen Schwerindustrie anhafte, besteht da nicht die Gefahr einer nicht vorhandenen Kunstfreiheit? NvS jr.: Ihr Freiheitsbegriff entspringt dem bürgerlichen Ideal. Wir sind aber längst in einer anderen Epoche angelangt und können uns von diesem idealistischen Freiheitsbegriff trennen. Kollektive Kreativität rückt an die Stelle der kleinteiligen Kreativität. Spot off / 3 Spot on / 4 Z. A.: Haben wir uns durch die willkürliche Förderung von Kunst und Kultur von der Freiheit verabschiedet? O. R.: Kulturpolitik muss bestimmte Akzente setzen und sich fragen, was ist mir welche künstlerische Arbeit wert, sie zu fördern, nicht sie zu zensieren. Nikolaus von Steffenhagen hat vor, etwas kollektivistisch zu kappen, da kommen wir schon in die Nähe der Planwirtschaft. Ich behaupte: Kulturpolitik muss auch den Mut aufbringen zu sagen: Ja, wir erhalten das Filmforum in dieser Größenordnung und kürzen zum Beispiel den Zuschuss für Straßenbau oder etwas anderes. Es gibt genügend andere Dinge, die man kürzen kann. Z.A.: Aber wer hat denn in Duisburg die Fähigkeit, das zu entscheiden? O. R.: Keiner. NvS jr.: Da müssen wir über die Grenzen der politischen Verwaltung hinaus denken, denn die Schöpfer des Ruhrgebiets sind die Großindustriellen. Und ich darf sagen, dass ich gewisse Kreise der Verwaltung hinter mir habe, auch wenn die das nicht öffentlich zugeben wollen. O. R.: Ich zweifle es an, dass das möglich ist. Schauen wir uns den Initiativkreis Ruhrgebiet an. Wir haben da einen Bodo Hombach, der in dieser Zeitung angesiedelt ist, wir haben einen Erich Staake, der in Ruhrort angesiedelt ist, und beide machen aus meiner Sicht nichts. Sie administrieren, man moderiert sich zu Tode, sie wollen die Schnelllebigkeit. Aber ich sage mit Nadolny: Die Entdeckung der Langsamkeit ist der bessere Weg. Sehr wohl gibt es Gefahren, die sich aus einer Lokalisierung der Kultur ergeben. Das ist die sogenannte Gentrifizierung, also die Veränderung des Stadtteils von einem Szenebezirk zu einem Schickimicki-Bezirk. Wir haben so etwas im Innenhafen, wobei es da keine Tradition gibt. Er wurde künstlich angesiedelt. Und wer ist dort? Das sind die Snobisten, die Yuppies. Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht ein sogenanntes Kultur-Prekariat bekommen. NvS jr.: Ihr Denken ist mal wieder auf halber Strecke steckengeblieben. Im 21. Jahrhundert muss jede zukünftige kulturelle Entwicklung dieses nicht nur im Entstehen begriffene, sondern durchaus dominierende Phänomen ‚Prekariat’ als Träger haben. Sie versuchen noch, diese Entwicklung aufzuhalten, indem sie sich gegen eine Gentrifizierung – die sie im Übrigen selber betreiben – aussprechen. Ich kenne bis auf wenige Großkünstler nur solche, die von ihrer Kunst nicht leben können. Und das ist gut so. Diese Menschen sind die Träger unserer neuen Gesellschaft. Es wird nicht mehr für die eigene Scholle gearbeitet, sondern für kreative kulturindustrielle Schwerstarbeit. Erst dann werden wir Beuys Aussage, dass jeder Mensch ein Künstler ist, in die Wirklichkeit transferiert haben. Spot off / 4 Spot on / 5 NvS jr.: Die ganze Region empfiehlt sich als Sonderkulturzone, die von auswärtigen Kräften bewirtschaftet werden soll. Hier finden wir reichlich Menschenmaterial und Raum vor, um auf einer Seinsgrundlage das Bewusstsein zu verändern. Sie wollen allerdings über das Bewusstsein das Sein verändern. O. R.: Damit haben Sie ihre politische Heimat gezeigt. Was Sie offenbar machen, ist ein diktatorischer Überschwall, der so nicht funktionieren wird. Das enttäuscht mich sehr, es erinnert mich an Jünger und andere. Wir haben ja schon ihre Theorie von ‚Ruhrort 21, 22, 23’ gehört, wo Sie sich auch gerne mit Nietzsche schmücken. Das erschüttert mich. NvS jr.: Im Ruhrgebiet wird man keine Schweiz errichten können, dafür fehlen uns schon die Berge. O. R.: Aber wir haben Halden. Z. A.: Sie scheinen nicht weit voneinander entfernt zu sein, wenn es darum geht, Einfluss auf die Künstler zu nehmen. Lenken wollen Sie beide. Aber damit haben wir doch in Duisburg keinen Erfolg. Die Alte Feuerwache wurde in den Sand gesetzt, das Hundertmeister scheitert seit seiner Eröffnung. Muss man sich dann nicht von Konzepten verabschieden, die Kultur lenken oder fördern zu wollen? O. R.: Zur Frage der Förderung: Wir haben hier keine kulturpolitische Förderung, sondern eine fiskalpolitische Förderung. Und die ist immer unter dem Gedanken: Wie hoch muss ich meine Zuwendungen abbauen. Wir haben wirtschaftlich aufstrebende Zeiten, merken davon in den Ausgaben für Kultur allerdings nichts. Ich bin ein Befürworter des Wachsens von unten, auch wenn vielleicht der Ausbeutungsgrad gerade ein hoher ist. Aber der Lohn des Schauspielers ist auch nicht die Bezahlung, sondern der Applaus. NvS jr.: Das habe ich in meinen Studentenjahren aufgegeben, nachdem ich mehrfach versucht hatte, in der Bäckerei mit Applaus meine Brötchen zu zahlen. Spot off / 5 Ein Streitgespräch zwischen Olaf Reifegerste (Koordinator der Duisburger Akzente für das Duisburger Kulturdezernat) und Nikolaus von Steffenhagen jr. (Planet Earth Foundation Artist in Residence 2011/2012). Transkription und Leitung des Gesprächs: Zlatan Alihodzic. Für die TAD-Homepage aufbereitet: Gernot Schroer |